Tutorial: Der genderATlas und deine VWA

Ist es sinnvoll, sich als Mädchen um einen Lehrplatz in einem technischen Beruf zu bewerben? Stimmt es noch immer, dass Männer und Frauen unterschiedliche Studienrichtungen wählen? Wieso werden nur mehr wenige junge Männer Volksschullehrer? Ist es tatsächlich besser, wenn Frauen nur Teilzeit arbeiten? Hast du schon einmal den Verdienst deiner Mutter mit jenem deines Vaters verglichen? Kennst du mehr Frauen oder mehr Männer die studiert haben? Ist dir schon einmal eine Bürgermeisterin begegnet? Kennst du Frauen, die du als Pionierinnen bezeichnen würdest? Gibt es in deinem Heimatort eine Straße, die nach einer Frau benannt ist?

Wenn dich diese und ähnliche Fragen interessieren, bist du im genderATlas für die Schule richtig.

Die Beiträge im genderATlas für die Schule enthalten Informationen und Hinweise, die dich zu eigenständiger Forschung etwa im Rahmen deiner VWA (AHS) oder einer Diplomarbeit (berufsbildende Schulen) – anregen und dich auf deinem Weg zur fertigen Arbeit bestmöglich unterstützen sollen: Sie geben Anregungen, wie du spannende Themen und Forschungsfragen findest, welche Methoden sich zum Erforschen einer bestimmten Fragestellung eignen und wo du mit der Suche nach Literatur und Zusatzmaterial starten kannst.

Wie forschst du mit dem genderATlas?

Du möchtest deine VWA auf einem der Beiträge des genderATlas aufbauen? Der folgende Abschnitt hilft dir, möglichst effektiv mit den Karten zu arbeiten und deine Arbeit zu planen.

Das Wichtigste zuerst: Welches Thema interessiert dich am meisten?

Wenn du dich durch die verschiedenen Karten klickst, wirst du bemerken, dass jede Karte einen kurzen Text mit Hintergrundinformationen bereithält. Um erfolgreich mit der Karte arbeiten zu können, sind folgende Schritte empfehlenswert:

  • Mach dich mit der Legende und Gestaltung der Karte vertraut. Was wird genau dargestellt? Sind dir alle Begriffe klar? Die Definition unterstrichener Fachbegriffe kannst du mit einem Klick abrufen bzw. im Glossar nachschlagen.
  • Nur nichts übersehen: Die meisten Karten lassen dich zwischen verschiedenen Ansichten wechseln (Tabs oben links), sodass du dir verschiedene Aspekte zum Thema anzeigen lassen kannst.
  • Gibt es räumliche Muster, die dir sofort ins Auge fallen, etwa ein Stadt-Land- oder ein Ost-West-Gefälle? Mach dir Notizen und vergleiche die verschiedenen Ansichten, etwa zu den historischen Veränderungen.
  • Du kannst die Karte mit Hilfe der Maus auch genauer erkunden, dann werden dir die genauen Werte für die jeweiligen politischen Bezirke bzw. die Gemeindebezirke Wiens angezeigt.

Der Weg zur einer guten Fragestellung

Sobald du dich mit der Karte auseinandergesetzt hast, kannst du den nächsten Schritt wagen – wie kommst du nun zu einer guten Fragestellung? Eine “gute” Fragestellung bringt ein Thema auf den Punkt und ist spannend. Vermeide breite Formulierungen wie “Akademikerinnen in Österreich zwischen 1900 und 2015”. Überlege immer auch, ob es dich selbst interessieren würde, eine Arbeit zum gewählten Thema zu lesen. Die wichtigste Daumenregel lautet tatsächlich einfach: Formuliere dein Thema als (auch für dich spannende) Frage, inklusive eines “?”. Danach kannst du dein Thema mit einem Untertitel noch umrahmen. Diese Vorgehensweise macht den Titel deiner Arbeit nicht nur spannender für potenzielle Leserinnen und Leser, sondern hilft dir auch dabei, effizient zu arbeiten. Die größte Gefahr bei einer ersten vorwissenschaftlichen Arbeit (und auch zu Beginn der Studienzeit) ist nämlich, thematisch zu breit zu bleiben, auszuufern und so zwar umfangreiche, aber auch oberflächliche Arbeiten zu produzieren. Widme dich lieber einem klar abgesteckten Thema, diesem dafür umso gründlicher.

Die Beiträge im genderATlas für die Schule sind so gestaltet, dass sie dir Impulse für mögliche Themen deiner VWA geben. Zu jeder Karte sind auch exemplarische (bewusst offen gehaltene) Fragestellungen formuliert, die du als Leitfaden verwenden kannst.

  • Unter „Dokumentieren“ sind Fragen und Anregungen zusammengefasst, die dir helfen, einen Überblick über das Thema zu gewinnen. Die Hinweise leiten dich an, wie du verschiedene Aspekte zum Thema recherchieren und deine Ergebnisse festhalten kannst.
  • Unter „Analysieren“ sollst du die in den Karten vorgefundenen Strukturen genauer unter die Lupe nehmen. Du setzt dich damit auseinander, was hinter den erhobenen Daten steckt bzw. stecken könnte.
  • Unter „Gestalten“ sind deine Ideen gefragt, wie etwas deiner Meinung nach verändert werden könnte. Welche Möglichkeiten der Neugestaltung wären im Rahmen deines gewählten Themas sinnvoll, welche Impulse sollten EntscheidungsträgerInnen setzen?

Ausgehend von diesen Fragen und den bereitgestellten Materialien kannst du Ideen und Literatur sammeln und dich dem, was du genauer erforschen willst, Schritt für Schritt annähern.

Ein wichtiger Hinweis noch zum Schluss: Deine VWA ist zwar verpflichtend für die Matura an einer AHS, gibt dir aber gleichzeitig viel Freiheit in der Themenwahl und Gestaltung. Forschen und eigene Gedanken und Schlussfolgerungen zu Papier zu bringen kann – solange du dich für das Thema tatsächlich interessierst – ein sehr erfüllender Prozess sein. Hier sind dein Engagement und selbstständiges Denken gefragt, du musst nichts auswendig lernen und nur wiedergeben. Keine Frage, empirisch arbeiten und forschen ist teilweise mühsam, aber zum Schluss hältst du deine erste eigene Forschungsarbeit ausgedruckt in Händen.

Wir wünschen dir alles Gute für dieses Abenteuer und hoffen, dass du auf dieser Website viele Anregungen findest!

Was ist Gender eigentlich?

Gender und Gender Mainstreaming sind Schlagworte, die in den letzten Jahren auch in den Medien immer häufiger vorkommen. Was aber meinen diese Begriffe wirklich?

Im Englischen wird zwischen „sex“ (dem biologischen Geschlecht) und „gender“ (dem sozialen Geschlecht) unterschieden. Das englische Wort „Gender“ hat sich auch bei uns durchgesetzt, wenn die gesellschaftlich (sozial) konstruierten Geschlechteridentitäten und Geschlechterrollen angesprochen werden. Gemeint ist damit, dass gesellschaftliche Vorgaben und Vorstellungen uns – basierend auf dem biologischen Geschlecht – im Denken, Verhalten und Handeln, typisch „weibliche“ oder typisch „männliche“ Richtungen vorschreiben oder zumindest nahelegen. Wichtig ist dabei, dass die Mehrzahl an gesellschaftlichen Vorgaben und Vorstellungen dazu, wie Frauen und Männer sich verhalten und handeln soll(t)en, nur wenig mit biologischen Unterschieden zu tun hat.

Beispiel 1: Es ist zwar noch immer so, dass nur Personen mit dem biologischen Geschlecht „Frau“ Kinder zur Welt bringen können. Es spricht aber grundsätzlich nichts dagegen, dass auch Personen mit dem biologischen Geschlecht „Mann“ Kinder wickeln, füttern oder beaufsichtigen können.

Beispiel 2: In Österreich ist es heute selbstverständlich, dass auch Frauen Auto fahren dürfen und können – obwohl stereotype Einstellungen wie “Frauen können nicht einparken” nach wie vor anzutreffen sind. In Saudi Arabien hingegen ist das Autofahren nach wie vor ausschließlich Männern erlaubt.

[Zusatzinfo: Lange Zeit ging man davon aus, dass sich das biologische Geschlecht einer Person eindeutig durch die primären Geschlechtsmerkmale feststellen lässt. Tatsächlich ist die Bestimmung des biologischen Geschlechts komplex und in zahlreichen Fällen nicht eindeutig. Heute wird in der Schulmedizin das Geschlecht entlang mehrerer Dimensionen definiert und bestimmt: Das biologische Geschlecht umfasst das über die Chromosomen bestimmte Geschlecht, das über die Sexualhormone bestimmte Geschlecht, das über die inneren Geschlechtsorgane bestimmte Geschlecht sowie das genitale, über die äußeren Geschlechtsorgane bestimmte Geschlecht. Beim psychischen Geschlecht wird das empfundene Geschlecht vom zerebralen Geschlecht unterschieden, welches von der hormonellen Aktivität des Hypothalamus (Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems im Gehirn) beeinflusst wird. Das soziale Geschlecht umfasst das bei der Geburt zugeschriebene und in der Geburtsurkunde festgeschriebene Geschlecht, das anerzogene Geschlecht sowie das juristische Geschlecht. Von Intersexualität wird gesprochen, wenn die Merkmale in Hinblick auf das biologische Geschlecht nicht eindeutig sind. Transsexualität beschreibt, wenn das psychische Geschlecht nicht eindeutig bestimmbar ist. (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2007, S. 680)].

Mainstreaming bedeutet übersetzt „in den Hauptstrom bringen“ und kommt aus der Organisationstheorie. Damit wird bezeichnet, dass eine bestimmte Art zu denken und zu handeln in den Strukturen einer Organisation so verankert werden muss, dass es standardmäßig angewendet wird. In der Verknüpfung mit „Gender“ bedeutet dies, dass Planung, Kommunikation, und Entscheidungsstrukturen (in der Politik, in der Verwaltung, in einer Organisation) so zu gestalten sind, dass

  • Unterschiede (Ungleichheiten) zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und bei allen Vorhaben standardmäßig als sozial bestimmt wahrgenommen und reflektiert werden;
  • alle Programme, Projekte und Maßnahmen auf ihre geschlechterspezifischen Voraussetzungen und Wirkungen überprüft werden;
  • alle Vorhaben zu einer Verbesserung der Gleichstellung von Frauen und Männern beitragen und es damit nicht zu einer Reproduktion und/oder Vertiefung geschlechterspezifischer Unterschiede (Ungleichheiten) kommt.

Kurz zusammengefasst bedeutet Gender Mainstreaming also ein auf Gleichstellung ausgerichtetes Denken und Handeln in der alltäglichen Arbeit einer Organisation zu verankern. Das sollte auch in deiner Schule so gehandhabt werden.

Im genderATlas werden Daten zur Gleichstellung von Frauen und Männern in verschiedensten Lebensbereichen in ihrer räumlichen Differenzierung visualisiert. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage für die gesellschaftliche Diskussion um Gleichstellung und die kritische Evaluierung politischer Maßnahmen im Sinne des Gender Mainstreaming.

In den Beiträgen im genderATlas werden verschiedene Themen aufgegriffen, die zeigen, dass „das Geschlecht“ in manchen Bereichen noch immer sehr deutlich die gesellschaftlichen Strukturen prägt: Straßen werden beispielsweise noch immer eher nach „großen Männern“ als nach „großartigen“ Frauen benannt. Obwohl in den letzten Jahren die Zahl an Bürgermeisterinnen deutlich gestiegen ist, werden aktuell noch immer erst 6% aller Gemeinden von Frauen geführt. In anderen Bereichen lösen sich klassische Muster gesellschaftlicher Strukturierung „nach Geschlecht“ jedoch auch auf – unter anderem im Bildungsbereich: Mittlerweile schließen deutlich mehr junge Frauen als Männer ein Studium ab und die Studienwahl ist gerade bei Frauen sehr vielfältig geworden. Beim Lehrpersonal an Volksschulen zeigt sich sogar eine völlige Verschiebung der gesellschaftlichen Strukturierung nach dem Geschlecht: Volksschullehrer war vor 100 Jahren ein klassischer Männerberuf, heute finden sich kaum junge Männer, die diesen Beruf ergreifen.

Auch Männer haben übrigens ein „soziales Geschlecht“. Gleichstellungspolitik hat sich daher auch darum zu kümmern, welchen Benachteiligungen „Männer“ aufgrund ihres Geschlechtes ausgesetzt sind.

Weitere Fachbegriffe aus dem genderATlas werden übrigens im Glossar erklärt.

Zum Weiterlesen

  • genderkompetenz.info Unter diesem Link findest du das historische Archiv des Projektes GenderKompetenzZentrum 2003–2010 mit vielen aufbereiteten Informationsmaterialien zum Themenkomplex Gender und Gender Mainstreaming. Empfehlenswert ist etwa die kompakte Übersicht zur Diskussion „Was ist Gender?“.
  • Becker R. und Kortendiek B. (Hrsg.) (2004): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: Springer (= Geschlecht und Gesellschaft, Band 35). Ein Buch (auch) zum Nachschauen, wer im deutschsprachigen Raum die Debatten in der Geschlechterforschung (mit)geprägt hat.
  • Connell R. (2013): Gender. Hrsg. Von Ilse Lenz und Michael Meuser. Wiesbaden: Springer (Geschlecht und Gesellschaft, Band 53). Robert/Raewyn Connell gilt als der/die zentrale Theoretiker/in (auch) für die Männerforschung sowie für einen globalen Blick auf die Differenziertheit von sozialem Geschlecht.
  • Themenbezogene Reportagen und Artikel zum Thema findest du auch in den Online-Zeitungsarchiven von Wochenzeitungen wie z.B. Die ZEIT.

Um spannende Forschungsfragen zu finden, die du zum Thema deiner VWA machen könntest, lohnt es sich aufmerksam die Diskussionen in der österreichischen Presse zu verfolgen. Aber Achtung: Die in Tageszeitungen angeführten „Tatsachen“ dürfen von dir nicht 1:1 geglaubt und übernommen werden. Du musst immer vertrauenswürdigere Quellen suchen, die einen Punkt den du spannend findest, auch wissenschaftlich belegbar behandeln.

 

 

 

Beitrag: Hannah Fietz, Nadine Reich, Michael Schachinger, Elisabeth Aufhauser