Spurensuche

Die Spurensuche wird seit Ende der 1980er Jahren in der Geographie verwendet. In ihrem Zentrum steht das Hinterfragen gewohnter Wahrnehmungsweisen sowie verkürzter Erklärungsmuster für vieldeutige Wirklichkeiten. Man taucht dabei schrittweise immer tiefer in komplexe, gesellschaftsrelevante Fragestellungen ein und kommt somit zu neuen Erkenntnissen. Wenn du dich auf Spurensuche begibst, bestimmst du selbst, wohin die Forschungsreise geht: durch die Auswahl des genauen Themas, das dich interessiert, des Untersuchungsorts und der Spur, die du verfolgst.

Am Beginn der Spurensuche steht der naive Blick auf einen Untersuchungsraum, alles was dir darin auffällt (z.B.: fast keine Straßennamen sind nach Frauen benannt) ist ein Zeichen. Wenn du nun ein Zeichen auswählst und mehr darüber wissen willst, wandelt sich das Zeichen zur Spur, die du verfolgst. Daher kommt die Bezeichnung Spurensuche. Bei der Spurensuche brauchst und trainierst du ein ganzes Bündel an Fähigkeiten und Fertigkeiten: Du musst dich orientieren, du wählst bewusst aus, du recherchierst, du folgst einer thematischen Spur, du dokumentierst usw.

Crashkurs Spurensuche

Dieser Abschnitt erklärt überblicksartig die Begriffe Zeichen und Spur und skizziert einen möglichen Ablauf einer Spurensuche. Nähere Informationen zur Methode findest du in der Fachliteratur zum Thema (siehe Literaturhinweise).

Was ist ein Zeichen?

Alles was in der Schule, in der Stadt oder im Stadtumland mit einem deiner Sinne wahrnehmbar ist, kann ein Zeichen sein: Graffitis, Geschäftsauslagen, Tafeln, Namen, Geräusche, Gerüche usw. Diese Zeichen können häufig auf spannende Entstehungsgeschichten hinweisen und darauf, welche Nutzung damit verbunden ist verweisen. Sie können von vergangenen Ereignissen stammen, überformt sein, kaum mehr erkennbar, mehrfach über“schrieben“, Ergebnisse von absichtlichen oder unbeabsichtigten Handlungen etc.

Was ist eine Spur?

Wenn du aus der Menge der wahrgenommenen Zeichen eines auswählst (dies bedeutet zugleich ein Nichtwahrnehmen oder Ausblenden aller anderen möglichen Zeichen) und kritisch nach der Entstehung fragst, so entsteht eine Spur. Diese Spur kannst du weiterverfolgen, indem du immer wieder neue Fragen stellst. Wenn dir beispielsweise ein Schild „Spielen verboten“ im Park auffällt, das zerkratzt und übersprayt ist, so kann die Spur zu einem Konflikt um die Nutzung dieses Parks führen. Eine mögliche Fragenkette zu dieser Spur könnte so lauten: Wer hat dieses Schild aufgestellt und warum? Wer hat dieses Schild beschädigt und besprayt? Warum ist im Park Spielen verboten? Wer entscheidet darüber, was im öffentlichen Raum erlaubt und verboten ist? Wo können Kinder in der Stadt überhaupt spielen? Sind Spielplätze in der Stadt geeignete Orte für Kinder? Etc.

An diesem Beispiel kannst du erkennen, dass du so lange weiterforscht, bis du hinter Interessenkonflikte schauen kannst und erkennst, wessen Interessen sich durchsetzen und welche nicht. Im Idealfall gehst du noch einen Schritt weiter und überlegst, was konkret verändert werden sollte/könnte, wenn du einen Veränderungsbedarf entdeckst. Da du auch herausgefunden hast, wer in diesem Zusammenhang die Entscheidungen trifft, weißt du, wohin du dich mit deinem Anliegen wendest.

Ablauf der Spurensuche

  • Zeichen suchen: freie Spurensuche nach allen Zeichen oder themengeleitete Spurensuche (z.B. Kinder in der Stadt)
  • Zeichen dokumentieren und auswählen: Welche Zeichen werden ausgewählt und dokumentiert?
  • Ausgewählten Spuren folgen: Was könnten diese Zeichen bedeuten? Wer steckt hinter diesen Zeichen? Wer oder was setzt sich hier durch? Etc.
  • Spurensuche reflektieren: Warum habe ich diese Zeichen wahrgenommen und nicht andere mögliche? Wie interpretiere und bewerte ich die Zeichen? Was drückt dies über meine Wahrnehmungsgewohnheiten aus?
  • Sammlung von möglichen Forschungsfragen: Welchen Spuren soll weiter nachgegangen werden?
  • Erstellen erster Hypothesen: Welche Prozesse und AkteurInnen sind wie an der Spur beteiligt?
  • Planung der nächsten Rechercheschritte
  • Recherche und Dokumentation der Ergebnisse
  • Aufbereitung der Ergebnisse

Literatur zur Spurensuche

  • Budtke A. und Kanwischer D. (2007): Spurensuche als Unterrichtseinstieg. Entdeckendes Lernen im Hamburger Hafen. In: Praxis Geographie 37 (1), S. 17‒19.
  • Deninger D. (1999): Spurensuche: Auf der Suche nach neuen Perspektiven in der Geographie und Wirtschaftskundedidaktik. In: Vielhaber C. (Hrsg.): Geographiedidaktik kreuz und quer, S.107‒184. Wien. (Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, 15).
  • Hard G. (1989): Geographie als Spurenlesen. Eine Möglichkeit, den Sinn und die Grenzen der Geographie zu formulieren. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 33 (1/2), S. 2‒11.
  • Hard G. (1995): Spuren und Spurenleser: Zur Theorie und Ästhetik des Spurenlesens in der Vegetation und anderswo. Osnabrück (Osnabrücker Studien zur Geographie 16).
  • Pichler H. (1996): Der Wahrnehmung auf der Spur – Zeichen lesen und Spuren suchen. Didaktische Impulse zu einer Analyse der Wahrnehmung im Projektunterricht. In: Fridrich C. (Hrsg.): Die verzerrte Welt in unseren Köpfen. Beiträge zur Umweltwahrnehmung, S. 123‒141. (Schulheft 82).
  • Pichler H. (1998): Wahrnehmung schulen – Sinne schärfen. Authentisches Lernen vor Ort. In: Heintel M. (Hrsg.): Unterwegs… Didaktische Aspekte von Exkursionen und Praktika, S. 99‒114. Innsbruck: Studienverlag (Zeitschrift für Hochschuldidaktik 2).
  • Pichler H. (2016): Kritische Topographien machen – Eine konstruktivistische Spurensuche im Stadtplan. In: Gryl I. (Hrsg.): Reflexive Kartenarbeit. Methoden und Aufgaben, S. 43‒52. Braunschweig: Westermann.

 

Beitrag: Herbert Pichler