Straßennamen – Wer ist im öffentlichen Raum sichtbar?

Hast du dich schon einmal genauer mit Straßennamen beschäftigt? Wieso gibt es in kaum einem Stadtzentrum eine Straße, die nach einer Frau benannt ist? Nach wem oder was werden eigentlich Straßen benannt? Straßennamen dienen nicht nur der Orientierung. Sie erzählen Geschichten, erinnern an besondere Ereignisse und ehren wichtige Persönlichkeiten. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass den Städten und Orten deutlich mehr Männernamen eingeschrieben wurden und werden als Frauennamen. Dieser Beobachtung kannst du mit Hilfe des genderATlas und durch eigene Forschung in deinem Umfeld auf den Grund gehen.

Die Karte

Wiens Straßennamen erinnern an bedeutende Personen sowie prägende Ereignisse und erzählen Geschichten über die Stadt beziehungsweise ihre Entwicklung. Frauen und Männer sind im Stadtraum jedoch nicht gleich repräsentiert: bei 4269 nach Personen benannten Straßen waren für lediglich 356 Straßen Frauen namensgebend. Im Sinne einer gendergerechten Stadtplanung wird diesem Ungleichgewicht mittels der Benennung von Straßen nach Pionierinnen in neuen Stadtvierteln wie z.B. in der Seestadt Aspern entgegengewirkt.

Im Jahr 2012 wurden erstmals mehr Verkehrsflächen nach Frauen als nach Männern benannt. Trotz dieser Bemühung tragen nur 5.2% aller Straßen in Wien den Namen einer Frau, gemessen an der Länge sind es lediglich 3%, bzw. 109 km, da vorrangig Wohngassen und nur wenige hochrangige Straßen nach Frauen bezeichnet sind.

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Neutral benannte Straßen km ()
Männlich benannte Straßen km ()
Weiblich benannte Straßen km ()
Datenstand 2015. Quelle: Wikipedia, eigene Bearbeitung. Kartendaten: OpenStreetMap und Mitwirkende
Verwendung: Kartenbild und Texte stehen unter CC-BY 3.0 AT-Lizenz / Namensnennung: genderatlas.at

Themenfeld Straßennamen – Wer ist im öffentlichen Raum sichtbar?

  • Sofern für deinen Wohnort oder deine Schulstadt noch keine Studie vorliegt, ist es ein lohnendes Projekt zu untersuchen, wonach die Verkehrswege (Straßen und Plätze) benannt werden. Dabei kannst du dich in einem von dir abgegrenzten Untersuchungsgebiet (z.B. einem Stadtteil oder Ortsteil) auf Spurensuche begeben und die aufgefundenen Straßennamen mit Fotos dokumentieren. Eine andere Variante wäre, mit einem analogen oder digitalen Stadtplan zu arbeiten. Beim Dokumentieren und Auswerten kannst du Kategorien bilden, nach denen du das Namensgut ordnest (z.B.: Personennamen, geschichtliche Ereignisse, geographische Namen etc.). Bei Unklarheiten über die Herkunft und Zuordnung einzelner Straßennamen kann dich neben der Internetrecherche die Befragung von zuständigen Personen aus der örtlichen Verwaltung bzw. Politik unterstützen.
  • Du kannst in einem weiteren Schritt auch auswerten, welche Ereignisse, Anlässe oder Gruppen am häufigsten bei der Benennung von Verkehrswegen vorkommen. Daraus können Schlüsse gezogen werden, was in der Gesellschaft als wichtig erachtet wird und wer Einfluss und Macht hat.
  • Gewinnbringend ist auch zu untersuchen, welche Personengruppen oder Ereignisse im Stadtplan nicht sichtbar werden und damit ausgeblendet bleiben. Denk an Minderheiten und geht z.B. auf die Suche nach einem Platz der Roma und Sinti. Auch dies verrät einiges über die Verteilung der Macht in der Gesellschaft.
  • Wenn du dich auf die personenbezogenen Straßenbezeichnungen konzentrierst, kannst du das Verhältnis zwischen Frauen- und Männernamen sichtbar machen (vergleiche hier die Karte Straßennamen im genderATlas): Gibt es mehr Frauennamen oder mehr Männernamen im Stadtplan des untersuchten Gebietes? Vielleicht kannst du auch erste Vermutungen anstellen, was hinter diesem Ergebnis steckt, womit es zusammen hängt, wenn eine Gruppe stärker vertreten ist als die andere.
  • Bei der Analyse jener Straßen, die nach Frauen und Männern benannt sind, kannst du noch weiter in die Tiefe gehen: Vergleiche etwa die jeweilige Lage (im Zentrum oder an der Peripherie in Randlage) der Straßen mit Frauen- oder Männernamen, ihre Länge sowie die Hierarchie der Straßen im Verkehrsnetz (Hauptstraße oder Nebenstraße, Platz, Sackgasse etc.). Lassen sich hier bei Frauen- und Männernamen unterschiedliche Muster erkennen?
  • Um Verteilungsmuster, Häufigkeiten und Differenzen (etwa bei der Benennung mit männlichen und weiblichen Straßennamen) deutlich sichtbar zu machen, kannst du die Lage der ausgewählten Kategorien in einem analogen oder digitalen Kartenmedium dokumentieren (siehe Darstellung in der Straßennamenkarte im genderATlas). In einer digitalen Karte können einzelne Straßennamen auch mit Erklärungen und Erläuterungen versehen werden.
  • Vergleiche deine Ergebnisse mit den Ergebnissen anderer Städte wie Wien (genderATlas), Graz oder Klagenfurt (siehe dazu weiterführende Hinweise am Ende des Beitrags). Benenne die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Straßenbenennung nach Männern und Frauen.
  • Um herauszufinden, wie das aktuelle Bild der Straßenbenennung im Stadtplan zu Stande kam, recherchiere bei der Stadt- und Gemeindeverwaltung die vergangene und aktuelle Praxis der Benennung von Verkehrswegen. Dokumentiere, welche Gremien oder Personengruppen die politische Entscheidungsmacht darüber haben, wie Verkehrswege benannt werden.
  • Spannend ist auch, nach welchen Kriterien Personennamen vorgeschlagen und ausgewählt werden. Versuche herauszufinden, ob es eine offizielle Regelung oder Zielvorgabe zur Straßenbenennung im Untersuchungsgebiet gibt.
  • Können aus der Analyse des Stadtplans unterschiedliche Phasen der Benennung von Straßen und Plätzen herausgefiltert werden? Dazu können etwa die Straßennamen des historischen Orts- oder Stadtkerns mit neueren Ortsteilen und Stadterweiterungsgebieten verglichen werden.
  • Schau dir die Ergebnisse der Analyse des Namensgutes nach Frauen- und Männernamen genau an und kommentiere sie. Formuliere Hypothesen, welche geschichtlichen und aktuellen sozialen Prozesse zu diesem Verteilungsbild geführt haben können.
  • Verbinde deine Ergebnisse mit aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen um Gleichbehandlung und Ausgrenzung in der Gesellschaft. Diskutiere mögliche Folgen der fehlenden deutlichen Sichtbarkeit u.a. von Frauennamen in der Stadt (im Stadtplan).
  • Setze dich mit der aktuellen Benennungspraxis der Stadt Wien auseinander, vergleiche etwa das jüngste Stadterweiterungsgebiet Aspern mit älteren Bezirken und bewerte dieses Vorgehen.
  • Vor allem in historischen Stadt- oder Ortsteilen kommt es vor, dass nachträglich Umbenennungen von Straßennamen vorgenommen worden sind. Solche Fälle kannst du dokumentieren und untersuchen, aus welchen Gründen diese Umbenennungen erfolgt sind. Recherchiere ob Problemfälle im Namensgut des Stadtplans bekannt sind (Internet, Onlinearchive von Lokalzeitungen, Interviews mit Historikerinnen und Historikern, Befragung von Verwaltungspersonen etc.). Welche Benennungen erscheinen aufgrund deiner Analyse als problematisch?
  • Diskutiere alternative Möglichkeiten des Umgangs mit umstrittenen Namensgebungen. Ist eine Umbenennung die einzige oder beste Lösung? Die Vor- und Nachteile der einzelnen Maßnahmen können gegenübergestellt und verglichen werden.
  • Dokumentiere ein konkretes Fallbeispiel einer problematischen Namensgebung im Stadtplan und veröffentliche den Fall auch in einem dir zugänglichen Medium. Spannend erscheint auch die direkte Konfrontation verantwortlicher politischer Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger mit diesem Fallbeispiel.
  • Formuliere begründete Forderungen zur Änderung der derzeitigen Praxis der Benennung von Verkehrswegen in deiner Gemeinde/Stadt (in deinem Untersuchungsgebiet), wenn dir Defizite, Ungleichgewichte, Problemfälle oder Ausblendungen in der Namensgebung aufgefallen sind.
  • Welche Frauen sowie Vertreterinnen und Vertreter von bislang nicht im Stadtplan vertretenen Gruppen sollten zu NamensgeberInnen im zukünftigen Stadtbild werden? Erarbeite begründete Vorschläge zur Neubenennung oder Umbenennung von Verkehrsflächen und übermittle diese der zuständigen Behörde.
  • Plane Schritte, wie deine Untersuchungsergebnisse und Anliegen öffentlichkeitswirksam werden können. Wähle dazu eine geeignete Form der Sichtbarmachung (öffentliche Präsentation vor Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, Interventionen im öffentlichen Raum auch mit künstlerischen Mitteln etc.)

Forschungsmethode

Für diesen Beitrag empfehlen wir die folgende Forschungsmethode:

Weitere Infos

Weiterführende kommentierte Quellen, Materialien und Links (Stand Oktober 2016).
  • Autengruber P. (2014): Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung. Herkunft. Frühere Bezeichnungen. Wien: Pichler Verlag  (achte, überarbeitete Auflage). Umfassende Erklärung aller Wiener Straßennamen, wird laufend aktualisiert, kann als Basisquelle für weitere Untersuchungen verwendet werden.
  • www.wien.gv.at/kultur/strassennamen Unter diesem Link findet man die „Online-Abfrage - Wiener Straßennamen und ihre historische Bedeutung“, bei Eingabe des Straßennamens und des Bezirks wird jeder Wiener Straßenname nach seiner Herkunft erklärt. Weiters sind hier Informationen über die Zuständigkeit und Grundsätze der Benennung von Straßennamen in Wien verlinkt. Zudem gibt es einen Link zum Bericht der HistorikerInnen über belastete und kritische Straßennamen in Wien.
  • de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stra%C3%9Fennamen_von_Wien Die Wikipedia-Quelle listet nach Bezirken geordnet alle Straßennamen Wiens alphabetisch auf und erklärt diese ausführlich. Es ist jedoch nicht ersichtlich, von wem die Seite bearbeitet wurde.
  • Rathkolb O., Autengruber P., Nemec B., Weninger F. (2013): Forschungsprojektendbericht Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“. Erstellt im Auftrag der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7), 350 S. Bericht der HistorikerInnen-Kommission über Straßennamen in Wien, thematisiert vor allen belastete und kritische Straßennamen und den möglichen Umgang mit solchen Problemfällen. Den Bericht findest du auch unter diesem Link: www.wien.gv.at/kultur/abteilung/pdf/strassennamenbericht.pdf
  • Nemec B. (2008): Straßenumbenennungen in Wien als Medien von Vergangenheitspolitik. 1910–2010. Mit besonderer Berücksichtigung der Gender-Problematik. Diplomarbeit Universität Wien, 161 S. Diese Studie untersucht die Praxis der Benennung von Straßennamen in Wien nach Männern und Frauen.
  • Daum E. und Hasse J. (2011)(Hrsg.): Subjektive Kartographie. Beispiele und sozialräumliche Praxis. Oldenburg (Wahrnehmungsgeographische Studien 26).
  • Dobler K. und Pichler H. (2004): Erlebte Topographie. Türen öffnen für ein kreatives Raumverständnis. In: Vielhaber C. (Hrsg.): Fachdidaktik alternativ - innovativ. Acht Impulse um (Schul-)Geographie und ihre Fachdidaktik neu zu denken, S. 35-48. Wien. (Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde 17).
  • Gryl I. (2009): Kartenlesekompetenz. Ein Beitrag zum konstruktivistischen Geographieunterricht. Wien. (Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde 22).
  • Gryl I., Jekel T. und Vogler R. (2011): Geoinformation – Macht – Schule. Spatial Citizenship und subjektive Kartographien. In: Daum E. und Hasse, J. (Hrsg.): Subjektive Kartographie. Beispiele und sozialräumliche Praxis, S. 125-143. Oldenburg. (Wahrnehmungsgeographische Studien 26).
  • Gryl I. (Hrsg.)(2016): Reflexive Kartenarbeit. Methoden und Aufgaben. Braunschweig: Westermann.
  • Hintermann C. und Pichler H. (2015): Gendered Spaces in the City: Critical Topography in Geography Education. In: Car A., Jekel T., Strobl J. und Griesebner G. (Hrsg.): GI_Forum 2015. Journal for Geographic Information Science. Geospatial Minds for Society, S. 287-298. Berlin und Offenbach: Wichmann; auch online unter (3.11.2016): hw.oeaw.ac.at/?arp=0x00324a4b
  • Pichler H. (2016): Kritische Topographien machen – Eine konstruktivistische Spurensuche im Stadtplan. In: Gryl I. (Hrsg.) Reflexive Kartenarbeit. Methoden und Aufgaben, S.43-52. Braunschweig: Westermann.
  • Rhode-Jüchtern T. (1995): Raum als Text. Perspektiven einer Konstruktiven Erdkunde. Wien. (Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde. Institut für Geographie der Universität Wien Band 22 174 S.11).
  • Vielhaber C. (2007): Kritische Topographie – Was soll das sein? Gedanken, Perspektiven und Versuch einer Umsetzung. In: GW-Unterricht 108, S.11–20.
  • Vielhaber C. (2012): Kritische Topographie – Gibt's die? In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 154, Wien S.89–106.
Beitrag: Herbert Pichler und Christiane Hintermann